Scrivener - Schöner schreiben
Als wir kürzlich vom Slam in Münster zurückkehrten und noch geladen waren wie Dirty Harrys .44er, kamen Mischa und ich in einen Disput darüber, ob die zum Schreiben genutzte Software die Qualität des Geschriebenen beeinflusst.
Mischa sagt „Nein.“, ich sage: „In jedem Fall.“
Genau so wie viele andere habe auch ich zu Anfang meine Texte mit Microsoft Word geschrieben. Weshalb auch nicht? Nun, aus dem gleichen Grund, aus dem man vermutlich nicht mit einem Flugzeugträger zum Fischen fährt! Nicht nur, dass die wenigsten von uns vermutlich einen Flugzeugträger, geschweige denn eine gültige Word-Lizenz besitzen (ich schon, also: die Lizenz!), ist es auch so, dass hier mit dem falschen Mittel die richtige Aufgabe angegangen wird.
Es gibt besseres! Beim Surfen bin ich vor knapp zwei Jahren über eine Software namens Ulysses gestolpert, die für sich beanspruchte, das perfekte Werkzeug für Autoren zu sein. Neben einem einfach Outlining-Modul war es vor allem das „Vollbild“-Konzept, das mich davon überzeugte, die Software einzuseten. Das heisst, alles andere außer dem Text wird vom Bildschirm verbannt. Zurück bleiben Buchstaben auf einer Fläche.
Leider brachte Ulysses jedoch einige Dinge mit sich, die unschön waren. Dazu zählte vor allem die von den Entwicklern noch heute vehemment verteidigte Tatsache, jegliches WYSIWYG aus dem Dokument zu verbannen. Das hielt ich von Beginn an für Blödsinn.
Eine kleine Fettung hier, eine farbige Markierung dort, kann das Schreiben deutlich vereinfachen. So versuche ich meinen Schreibfluss dadurch aufrecht zu erhalten, dass ich Passagen, die ich bereits beim Schreiben als zu überarbeiten erachte schnell farbig markiere. Oder Textstellen, die gelöscht werden sollen, erst einmal nur „durchgestrichen“ werden, um sie eventuell später wieder zu integrieren oder an anderer Stelle zu verwerten, ohne sie aus ihrem ursprünglichen Kontext reissen zu müssen. Das alles fehlt in Ulysses definitiv!
Gelöst wurde das Problem dann nicht von bluetec, sondern von einem wackeren Programmierer aus London, der vor gut einem Jahr die Software „Scrivener“ veröffentlichte. Ein kurzer Test der - leider nur in englisch verfügbaren - Anwendung ließ mich Ulysses sehr schnell vergessen. Nicht nur war das GUI von Scrivener wesentlich aufgeräumter und ins System integriert (einem Apple-User ist das wichtig, schließlich will man ja nicht bei jedem Programm ein neues Look-and-fell lernen). Auch einfaches, für Autoren angepasstes WYSIWYG, bringt Scrivener mit. Und natürlich den mittlerweile obligatorischen „Vollbild-Modus“, den ich nicht mehr missen mag.
Das Outlining-Modul zur Strukturierung gerade größerer Projekte ist sehr hilfreich. Hier finden nicht nur die einzelnen Texte als solche ihren Platz, sondern auch Referenzmaterialien und Links. Das alles lässt sich über ein Pinboard jederzeit strukturell modifizieren - da werden Kapitel einfach mit der Maus verschoben und auf den zugehörigen Karteikarten Notizen dazu hinterlassen. Dokumente miteinander verbunden und ganze Kapitel über die „Scrivenings“-Methode auf einen Schlag bearbeitet.
Scrivener bietet letztlich alles, was ein Autor benötigt, der sich bei der Arbeit nicht von hüpfenden Büroklammern, Tabellen und einer Bedienleiste mit 3732 Buttons ablenken lassen will:
- Aufgeräumte Benutzer-Oberfläche, die sich den Bedürfnissen weiter anpassen lässt
- Umfassendes Outlining Tool zur Strukturierung des Projektes
- Verlinken der Einzeltexte (z. B. Kapitel des Projektes) mit den entsprechenden, externen Referenzen (Dateien, Bilder, Web-Links etc.)
- Durchdachtes WYSIWYG, dass alles kann, was es muss und nicht mehr
- Vollbild-Modus, der alle störenden Elemente des Computers ausblendet
- Weitreichende Export-Möglichkeiten (RTF, DOC, PDF, Text, Multimarkdown)
Natürlich ist mir klar, dass der Einsatz von Scrivener in keinem Fall aus „Jedermann“ einen guten Autor macht. Und sicherlich würde jemand mit dem Talent von Mischa - ich meine das frei von jeglichem Zynismus und bitterernst - auch auf einer Klopapierrolle zu jedem Zeitpunkt einen wundervollen Roman schreiben können. Denn Kreativität setzt erst einmal andere Dinge voraus, über die ich auch gerne mal rede. Vor allem als Ausbilder.
Aber eins ist sicher: Das Schreiben macht mit Scrivener einfach viel mehr Spaß! Es geht besser von der Hand. Schon, weil es einem durch den Outliner und den Vollbild-Modus den ganzen störenden Mist vom Hals hält und man sich ganz auf den kreativen Prozess konzentrieren kann.
...Sicherlich werde ich in kommenden Beiträgen immer mal wieder auf Scrivener zurückkommen. Darüber, wie es sich entwickelt, wie ich es einsetze und was am Ende dabei herumkommt.
Also. Einfach mal ausprobieren! Sofern ... Tja. Letztlich muss ich dann noch den Wermuts-Tropfen verschütten: Scrivener gibt es ausschließlich für Apple Macintosh. Es ist Shareware und kostet direkt beim Programmierer „Literature & Latte“ $34,99, die ich nur zu gerne investiert habe. Jetzt suche ich noch jemanden, der meine Word-Lizenz gegen die USS Nimitz tauscht ...
Literature & Latte - Scrivener
Info-Site inkl. Download einer vollfunktionsfähigen Testversion
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Ja. Es nutzt die systeminterne Korrektur.
Wenn das Programm nur auf englisch verfügbar ist - hat es dann trotzdem einen deutsche "on-the-fly" Rechtschreibkorrektur?
Danke für das Lob, Digger! Und davon mal ab sind wir uns einig, deinem Posting kann ich mich - ohne das Programm zu kennen - anschließen.
Dies hier ist schamlos und komplett von _ben geklaut. Der findet das aber großartig.